1987,
anlässlich einer
Personalausstellung im Museum für Kunsthandwerk Frankfurt am
Main,
erklärte die Hamburger Buchbinderin Ingeborg M. Hartmann, dass
die
Gestaltung eines Bucheinbands für sie von innen nach
außen
geht, „d.h. ich lese zuerst das Buch und versuche schon
während des Lesens eine Form für das
Äußere zu
finden.“
Da Ingeborg Hartmann ganz aus der Praxis gekommen ist, d.h. ihre
berufliche Erfahrung ausschließlich in der handwerklichen und
industriellen Buchbinderei, u.a. in der Hamburger
Großbuchbinderei Ladstetter erwarb, wurde und wird sie nicht
durch Vorbilder eingeengt und belastet. Ihr gestalterisches Engagement,
mit dem sie mit 29 Jahren den Mut zur Eröffnung einer eigenen
Buchbinderwerkstatt hatte, erwächst aus ihrem Interesse an
künstlerischen und literarischen Themen und deren Umsetzung in
eigene Phantasien. Auf der Grundlage ihrer gediegenen handwerklichen
Ausbildung und umfassenden beruflichen Erfahrung konnte sie in ihrem,
nun bereits 36 Jahre bestehenden Atelier, zunächst in der
Hamburger Theaterpassage in unmittelbarer Nachbarschaft zur Druckerei
Christiansen und heute in der Alsterwiete an der Hamburger
Binnenalster, ein vielseitiges buchbinderisches Schaffen entfalten.
Mit ihrem Handeinband zum Heft 22 der Einbandforschung fordert die
Hamburger Buchbinderin und Buntpapiererin den Betrachter geradezu zu
einer Auseinandersetzung mit ihrem Schaffen heraus, denn auf diesem
Einband offenbart sie viele Stationen ihres gestalterischen
Bemühens. Die Stationen bzw. Etappen der Einbandgestaltung
äußern sich als Streifen aus
unterschiedlichem
Material, das gleichfalls verschiedene Techniken erfordert. Es beginnt
mit farblich nuanciertem Marmorpapier. Die Entstehung der
charakteristischen Muster des Marmorpapiers wird in der Abfolge vom
Hinterdeckel über den Rücken zum Vorderdeckel
nachvollziehbar. Es folgen Bänder aus durchsichtigem
Plexiglas,
jeweils mit blauem oder rotem Ziegenleder über den
Falz zum
Rücken verbunden. Sie gewähren auf dem Vorderdeckel
den
Durchblick zum Titel Einbandforschung.
Auf dem Hinterdeckel sind diese Plexiglasstreifen mit Bundpapieren
– einem grünen Monotypiepapier und blauem
Kleisterpapier
– hinterlegt. Dazwischen werden weitere
Möglichkeiten mit
unterschiedlichen Materialien ausgelotet. Auf einen Streifen aus gelbem
Leinen folgt geadertes Pergament, das in einer charakteristischen
Vorderkante über dem Schnitt endet. Auf dem Rücken
trägt
der Pergamentstreifen ein rotes Titelschild mit der vergoldeten
Zählung des Heftes. Dunkelblaues Kalbleder, mit einer
Blinddrucklinie gerahmt und einem Palmettenstempel verziert, bildet den
etwas breiteren Abschluss der zahlreichen Variationen der
Gestaltungsmöglichkeiten auf diesem Handeinband. Aber damit
ist
der Einfallsreichtum, mit dem Ingeborg Hartmann bei diesem Einband
überrascht, noch nicht beendet. Beim Aufschlagen des Bandes
ermöglicht der Spiegel aus orangeleuchtendem Knitterpapier und
die
Vorderseite des fliegenden Blattes aus Schablonenwischpapier der
Buntpapiererin Hartmann eigene Papierschöpfungen einzusetzen.
Die
Rückseite des fliegenden Blattes hat sie benutzt, um mit einem
grünen Batikpapier farblich auf den abgebildeten gotischen
Halblederband des Heftumschlages anzuspielen und zugleich die
temperamentvolle Bewegtheit des modernen Papiers in Kontrast zu den
gestalterischen Möglichkeiten des historischen Einbandes zu
setzen. Die wiederholt sich am Schluss in der
Gegenüberstellung
der abgebildeten Verlagseinbände aus dem 19. Jahrhundert mit
dem
modernen Tropfenmuster des Batikpapiers.
Auszug aus: Schaefer, Helma: Stationen eines Bucheinbands
in: Einband-Forschung Heft 23/Oktober 2008 S. 14-16
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