Archiv
6. Jahrestagung des AEB
27.-29. September 2001
Leipzig, Universitätsbibliothek
Tagungsbericht
Leipzig Universitätsbibliothek, 27.-29. September 2001
Der Arbeitskreis für die Erfassung und Erschließung Historischer Bucheinbände (AEB) schätzt sich glücklich, dass seine 6. Jahrestagung vom 27. bis 29. September 2001 im eindrucksvoll restaurierten Gebäude der Universitätsbibliothek Leipzig in der Beethovenstraße stattfinden konnte. Mehr als 70 Teilnehmer aus dem In- und Ausland waren der Einladung gefolgt.
Am Eröffnungsabend ergriff nach Grußworten des Prorektors der Universität Leipzig, Prof. Dr. Adolf Wagner, und des Dekans der Theologischen Fakultät, Prof. Dr. Dr. Günther Wartenberg, der Leiter der Universitätsbibliothek, Dr. Ekkehard Henschke, das Wort. Er stellte den inzwischen schon wieder historischen Neubau der Universitätsbibliothek vor, der 1891 bezogen und nach König Albert von Sachsen, dem damaligen Landesherrn, „Albertina“ benannt worden war. Architekt des Gebäudes im Stil der Neorenaissance war der Semper-Schüler Arwed Roßbach. 1945 wurde das Gebäude zu zwei Dritteln zerstört und fristete bis zur Wende 1990 ein Dasein als malerische Halbruine. Dann wurde zügig mit dem Wiederaufbau begonnen. 2002 wird der Bau erneut völlig fertiggestellt sein. Dr. Konrad von Rabenau, der Vorsitzende des AEB, eröffnete mit einem Dank an die Organisatoren die Tagung.
Der Festvortrag von Gerhard Karpp (Leipzig) „Die Sondersammlungen der UB Leipzig: Geschichte und Bestand“ musste wegen Erkrankung des Verfassers von Dr. Roland Jäger (Leipzig) vorgelesen werden: Die Universität Leipzig wurde 1409 gegründet und ist damit nach Heidelberg zweitälteste ununterbrochen bestehende deutsche Universität. Eine zentrale Universitätsbibliothek - schon damals „universitet biblioteca“ bzw. „Bibliotheca Paulina“ oder „Akademische Bibliotek“ genannt - wurde erst 1543 eröffnet. Sie erhielt als Grundstock den Buchbesitz der säkularisierten Klöster, an erster Stelle des ehemaligen Dominikanerklosters. 1550 betrug der Bestand der Bibliothek etwa 5000 Drucke und 750 Handschriften. Als Gründer und erster Bibliothekar hat der damalige Rektor Caspar Borner zu gelten, vorher Leiter der Thomasschule. Ihm folgten bis 1832 stets Professoren in der Leitung der Bibliothek. Einer der bedeutendsten war Christian Gottlieb Jöcher (1694-1758), der Herausgeber des „Allgemeinen Gelehrten-Lexicons“. Im 2. Jahrzehnt des 19. Jh. stieg Leipzig zur drittgrößten deutschen Universität auf. Nun wurde zum ersten Mal an einer deutschen Universität mit Ernst Gotthelf Gersdorf (1804-1874) ein hauptamtlicher Bibliothekar berufen. 1891 bezog die Universitätsbibliothek ihr neues Gebäude in der Beethovenstraße. 1930 konnten die Kirchenbibliotheken von St. Thomas und St. Nikolai als Dauerleihgaben übernommen werden. Die Bestände der Handschriftenabteilung überstanden fast unversehrt die Kriegs- und Nachkriegszeit. Sie waren ausgelagert in Schloss Mutzschen, während das Bibliotheksgebäude am 6. April 1945 zu 60 Prozent zerstört wurde. Die sowjetische Besatzungsmacht transportierte die Sammlung als Kriegsbeute ab. 1958 erfolgte die Rückführung des größten Teils der Bestände. 1962 wurde die Handschriften- und Inkunabelsammlung der ehemaligen Stadtbibliothek Leipzig als Dauerleihgabe übernommen. Zur Zeit besitzt die Universitätsbibliothek 8730 Handschriften, 173 000 Autographen, 170 Nachlässe, 5070 Papyri, 1600 Ostraka, 3615 Inkunabeln, 14000 Drucke des 16. Jh. Dazu kommen Einband- und Exlibris- Sammlungen, 80000 Münzen und eine Porträtstichsammlung von 10000 Blatt. 1993/94 konnte die Privatbibliothek von Bernhard Bischoff, Professor für Mittellateinische Philologie, Paläographie und Handschriftenkunde an der Universität München (+1991) angekauft werden.
Der Freitag begann mit dem Diavortrag von Dr. Radim Vondrácek (Prag) „Die Einbandsammlung des Kunstgewerbemuseums Prag im Hinblick auf die europäische Einbandgeschichte“. Das Museum wurde 1885 gegründet. Die Abteilung „Buchkunst und angewandte Graphik“ sollte von Anfang an die Geschichte des Buches einschließlich seines Einbandes dokumentieren. Heute umfasst die Sammlung 30 000 Bände. Seit 1905 gibt es eine ständige Einbandausstellung, in der Beispiele für Einbandkunst durch alle Jahrhunderte vertreten sind. Schmunzeln konnte man über die Fälschung eines bemalten Sieneser Einbandes durch Federico Ilicio Joni um 1900.
Helma Schaefer (Leipzig) referierte anschließend ausführlich über „Leipziger Einbandgeschichte im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts“. Leipzig war schon zur Goethezeit eine Stadt der Verlage und des Buchhandels, zentraler Ort für Herstellung und Vertrieb von Büchern. Starre Innungsregeln, die bis 1862 bestanden, waren der expansiven Entwicklung hinderlich. Aus Einbänden wie denen für Göschens „Musenalmanach“ entwickelte sich der typische Verlagspappband des Biedermeier. In Folge der Erfindung der Dampfmaschine (1866) und der Drahtheftmaschine (1879) entstanden Buchbindefabriken. Diese produzierten den für die Zeit charakteristischen Gewebeband aus Kaliko, der durch industriell gefertigte Vergoldung und Prägung hohe Stückzahlen erreichen konnte. So wurde der Handbuchbinder, dessen Arbeiten die Vorbilder für den Industrieeinband geliefert hatten, zum Fabrikanten. Für den Vertrieb der sich ständig steigernden Buchproduktion entwickelten sich die Kommissionsbuchhandlungen. Diese beispiellose Erfolgsgeschichte hielt bis zum Ende des 19. Jh. an. Dann begann ein gewisser Niedergang. Die Bewegung des Jugendstils strebte Innovation und dabei auch eine Verbesserung in der Gestaltung des Verlagseinbandes an. 1913 fand die 1. Internationale Buch- und Graphik-Ausstellung in Leipzig statt, 1925 wurde der Börsenverein des Deutschen Buchhandels dort gegründet. An den Leipziger Verhältnissen lassen sich beispielhaft die Zusammenhänge zwischen der Buchherstellung, der Gestaltung und dem Vertrieb in der Phase der Industrialisierung studieren.
Ebenfalls mit dem Verlagswesen, jedoch seinen Ursprüngen, beschäftigte sich der anschließende Vortrag von Dr. Lore Sprandel-Krafft (Reichenberg) „Zur Frage des Verlagseinbandes in der spätgotischen Zeit“. In der Zeit nach der Erfindung des Buchdrucks, der Inkunabelzeit, gab es noch keine Verlage im modernen Sinn. Der Drucker konnte selbst als Verleger für seine Produktion tätig sein, verfügte jedoch häufig nicht über die nötigen Finanzmittel. So ist schon früh die Trennung von Finanzierung und gewerblicher Leistung festzustellen. Von den Druckerzeugnissen wurde nur ein kleiner Teil der jeweiligen Auflage fertig gebunden angeboten. Es standen Musterbände zur Verfügung, die den potenziellen Käufern vorgelegt wurden, üblicherweise lederbezogene Holzdeckel mit mehr oder weniger üppiger Stempelverzierung. Als Beispiel für Verlegertätigkeit wird Peter Drach aus Speyer angeführt, der Messbücher aus der Produktion anderer Drucker (Sensenschmidt) vertrieb. Die Schedelsche Weltchronik von 1493, das am reichsten illustrierte Buch der Inkunabelzeit, konnte nur durch ein Verlegerkonsortium finanziert werden. Der Drucker war Anton Koberger. Es wurden kolorierte und unkolorierte, gebundene und ungebundene Exemplare angeboten. Der Anteil der gebundenen Exemplare dürfte jedoch bei höchstens 20 Prozent gelegen haben. Zum Absatz der Produktion wurden die Buchmessen beschickt oder Bücherlager in den auswärtigen Handelszentren eingerichtet. Es entwickelten sich neue Berufszweige wie der „Druckherr“, Produzent und Buchhändler in einer Person. Im allgemeinen gab er seine Aufträge an örtliche Buchbindereien, konnte aber auch „Vertragsbuchbinder“ beschäftigen. Beispielsweise wurden dem Drucker Georg Reyser in Würzburg von seinem Auftraggeber, dem Fürstbischof Rudolf von Scherenberg, gebundene Exemplare des „Missale Herbipolense“ vorgeschrieben, die Wahl der Buchbinderwerkstatt stand ihm jedoch frei. Der „Buchführer“ war hingegen ein lohnabhängiger Agent, der eventuell auch am Gewinn beteiligt war. Mit der Zeit und steigender Kapitalkraft entwickelten sich Ladengeschäfte und der Buchhandel über Land. Dieses Nebeneinander verschiedener Vertriebsformen ist erklärbar aus der besonderen Situation in einer Zeit des Aufbruchs.
Nach der Mittagspause sprach Dr. Jenny Sheppard (Cambridge) über „The British Census of Medieval Bookbindings: Beginnings, methods, progress“. Ein Projekt zur Erfassung mittelalterlicher Einbandstrukturen in britischen Bibliotheken hatte sich seit den späten 80er Jahren entwickelt. In Cambrige fand sich eine Gruppe von Handschriftenkundlern, Einbandspezialisten und Handschriftenbiblothekaren zusammen, um über den avisierten Zensus zu diskutieren. Das Projekt hat zwei grundsätzliche Ziele:
1. eine einheitlich kommentierte Liste von Einbänden mittelalterlicher europäischer Bücher (bis 1500) in britischen Bibliotheken,
2. Erweckung des Interesses und Bewusstseins für den historischen Einband bei den Wissenschaftlern, die mit mittelalterlichen Büchern arbeiten.
Zur Erfassung der relevanten Einbände wurde ein einfaches Formular entworfen. Es besteht aus einem DIN-4-Blatt mit Fragen auf der Vorder- und einer schematischen Zeichnung auf der Rückseite. Für jeden zu bearbeitenden Einband ist ein eigenes Formular vorgesehen. Es werden leicht erkennbare Informationen erfragt (Einbandmaterial, Bindung, Buchschnitt, Vorsatzblätter), die durch einfaches Ankreuzen beantwortet werden können. Die schematische Zeichnung auf der Rückseite gewann mit der Zeit ein immer größeres Gewicht. Es können darauf Elemente des Bucheinbandes eingezeichnet oder angekreuzt werden. Für die schnelle Erfassung vor Ort kann daher auf Fotos verzichtet werden. Zusätzlich wurde eine Broschüre erarbeitet, die den Zweck und die methodologischen Grundlagen des Zensus verdeutlichen soll. Diese Broschüre wurde in der Anfangsphase des Projekts an Handschriftenbibliothekare verteilt. Gleichzeitig begann der Zensus in Cambridge. Die Bestandserfassung ist dort mittlerweile vollständig für die University Library, sieben Sammlungen von Colleges und bei einigen Streubeständen. Die Gesamtzahl der bisher erfassten Einbände in Cambrige beträgt 1305 (652 Handschriften und 653 Frühdrucke). Die Gesamtzahl wird auf etwa 1400 geschätzt. Inzwischen wurde damit begonnen, den Zensus computergestützt zu bearbeiten. Dazu wird das Programm Microsoft Access verwendet (die schematische Zeichnung wird eingescannt). Eine Webseite befindet sich im Aufbau.
Den Rest des Nachmittags nahmen Nachrichten aus den Arbeitsgruppen des AEB sowie Berichte über neue Entwicklungen ein. Dr. Konrad von Rabenau dankte Gerhard Karpp (Leipzig), der sich als stellvertretender Vorsitzender zurückzieht, für die geleistete Arbeit. An seine Stelle tritt Dr. Gerd Brinkhus (Tübingen).
Über die Finanzlage des AEB, der ja kein eingetragener Verein ist und seine Arbeit allein durch die Tagungsbeiträge, Spenden und Sponsoren finanzieren muss, legte im Anschluss Dr. Holger Nickel (Berlin) Rechenschaft ab. Andreas Wittenberg (Berlin) berichtete über das DFG-Projekt Einbanddatenbank, ein Gemeinschaftsunternehmen der Staatsbibliothek Berlin - Preußischer Kulturbesitz, der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Stuttgart hat bereits damit begonnen, die auf der Grundlage der Sammlungen von Ernst Kyriss gewonnenen Einzelstempel in die Datenbank einzugeben, Wolfenbüttel verfährt analog mit den dort verfügbaren Daten. Nach dieser Phase der dezentralen Datenerfassung soll eine Online-Phase beginnen, die Zugriff auf die Datenbank über das Internet ermöglicht. Ein Kategorienschema für die Erfassung der Einbanddaten kann bei Herrn Wittenberg angefordert werden (andreas.wittenberg@sbb.spk-berlin.de). Die Arbeitsgruppe Terminologie des Bucheinbandes des 15. Jahrhunderts hat ihr Projekt im wesentlichen beendet. Die bebilderte mehrsprachige Motivliste wird dem DFG-Projekt zur Verfügung gestellt. Herr Dr. von Rabenau erklärte daher seinen Rückzug aus dieser Arbeitsgruppe. Noch strittige Einzelfragen können in Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Nickel geklärt werden. Die Arbeitsgruppe Technik des Bucheinbandes arbeitet an einer Terminologie der für Einbände verwendeten Materialien, die zunächst als Arbeitsinstrument konzipiert ist. Es ist sehr erwünscht, in Zukunft einen breiteren Personenkreis von Fachleuten anzusprechen und in Einzelfragen zu Rate zu ziehen. Dag- Ernst Petersen (Wolfenbüttel) nimmt gern Kontakt mit Interessenten auf (petersen@hab.de).
Anschließend wurden verschiedene Projekte vorgestellt, die Desiderate der Forschung darstellen: Supralibros des 15. - 18. Jh., Geistliche Supralibros, Liste der Buchbinder des 19./20. Jh. Bei diesen Projekten geht es zuerst einmal darum, Material von möglichst vielen Stellen zusammenzutragen. Interessierte Kollegen aller Sparten sind dazu aufgerufen.
Werner Hohl (Graz) gab zusätzlich zum Programm ein Statement ab zum Stand der Erschließung der steirischen Einbände an der UB Graz und wies auf die aktualisierten Internetseiten hin (http://www.kfunigraz.ac.at/ub/sosa/einband/buchbinder3/index.html).
Der Samstag begann mit einer Sensation: Matthias Hageböck (Weimar) stellte „Eine bisher unbekannte graphische Mischtechnik bei der Herstellung von Brokatpapieren“ vor. Brokatpapiere nennt man die mit Blattmetall geprägten Papiere. Sie wurden von etwa 1700 bis weit ins 19. Jh. hinein vor allem in Augsburg produziert. Auf farbigem Grund stehende goldene oder silberne Reliefprägungen verleihen dem Papier das Aussehen eines prachtvollen Brokatstoffs. Der Druck erfolgt von einer Kupferplatte. Die Teile, die nicht abgedruckt werden sollen, werden bis zu 2,5 mm tief aus der Platte herausgearbeitet. Die spätere Prägung bleibt erhaben stehen. Zwischen Druckplatte und Papier befindet sich die Metallfolie, die in das Papier gepresst wird. In der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar haben sich zahlreiche Brokatpapiere aus der Anfangszeit bis ca. 1720 erhalten (meist als Umschläge für Gelegenheitsschriften), die im Rahmen eines Projektes erschlossen wurden. Von herausragender Bedeutung ist dabei die Entdeckung eines in diesem Zusammenhang bisher völlig unbekannten Herstellungsverfahrens, eine Kombination aus Elementen des Holzschnitts, des Plakettendrucks und des Kupferstichs: Offenbar kamen bei den frühen Brokatpapieren neben einteiligen auch mehrteilige Druckplatten zur Anwendung. Ähnlich wie beim Holzschnitt wurden bestimmte Teile aus der Druckplatte herausgeschnitten (Plaketten), und in einer Art Puzzletechnik konnten nun verschiedene Plakettensätze in die mit Aussparungen versehene Basisplatte eingesetzt werden. Diese zeigte ein Ornamentmotiv, in das figürliche Darstellungen verschiedenster Art passten. Das Ziel dieses Verfahrens war die kostengünstige Herstellung vieler Motivvarianten. Etwa ein Drittel aller erhaltenen Brokatpapiermotive bis 1720 wurde mit mehrteiligen Druckvorlagen hergestellt. Nach 1720 wurden keine derartigen Plaketten mehr verwendet. Offenbar war das Verfahren unrentabel geworden. Der Grund dafür könnte darin liegen, dass die Mode auch bei den Papieren wechselte und das Druckverfahren mit einteiligen Platten rationeller wurde. Obwohl bisher noch keine derartigen Originalplatten gefunden wurden, konnte Herr Hageböck seine Entdeckung sehr überzeugend durch Abbildungen der Objekte auf Dias belegen, die im einzelnen die Verwendung der Basisplatten und Versatzstücke demonstrierten.
Ein verwandtes Thema berührte im Anschluss Dr. Frieder Schmitt (Leipzig) mit seinem Vortrag „Buntpapier als Hilfsmittel der Einbandforschung“. Anfang des 20. Jh. kamen bei Verlagseinbänden Vorsatzpapiere auf, die in Lithographie-Technik hergestellt waren. Sehr gebräuchlich waren Streumuster mit Blüten und Blättern, oft bemerkenswert harmonisch auf die Farbgestaltung des Einbandes abgestimmt. Am Beispiel lithographischer Vorsatzpapiere der Artistischen Anstalt Emil Hochdanz in Stuttgart wurde eine systematische Zusammenstellung und Auswertung versucht. Musterbücher dieser Firma im Besitz des Deutschen Buch- und Schriftmuseums Leipzig ließen sich durch digitale Reproduktion zu einem virtuellen Gesamtmusterbuch zusammenfügen. Daraus wird klar, dass es wohl auch in größerem Rahmen möglich sein dürfte, dem verwendeten Vorsatzpapier einen bestimmten Verlag zuzuordnen. Wünschenswert wäre daher die Erstellung eines Inventars von Musterkarten und ähnlichen Produktionsformen einzelner Hersteller. Bei deren Identifikation aufgrund von oftmals nur dürftigen Indizien bewies der Referent in einigen - im einzelnen vorgestellten - Fällen bewundernswerten detektivischen Spürsinn und Kombinationsgabe.
Praktisch anwenden konnten die Teilnehmer diese neuen Erkenntnisse gleich anschließend bei der Sammlung von Leipziger Verlagseinbänden des Privatsammlers Dr. Gerhard Mühlinghaus (Frankfurt/Main), die in den Räumen der Sondersammlungen der UB betrachtet und untersucht werden konnten. Der Sammler stellte seine Bücher selbst vor. Für manchen erschloss sich erst hier der Wert bisher wenig beachteter und gering geschätzter Bibliotheksbestände.
Nach diesem Ausflug in die Moderne führte der Vortrag von Dr. Gerd Brinkhus (Tübingen) wieder in die Frühzeit des Buchdrucks zurück: „Samuel Streler, ein Tübinger Buchbinder des 16. Jahrhunderts“. Strelers Namenseintrag taucht 1550 in der Tübinger Universitätsmatrikel auf. Er arbeitete als Buchbinder für die Tübinger/Uracher Buchdruckerei des Primus Truber. Die Auswertung von Akten und Senatsprotokollen liefert neue Daten zu seinem Leben, das im sozialen Abstieg endete, wahrscheinlich in Folge der Pestepidemie, die 1571 die Verlagerung der Universität Tübingen erzwang und Streler damit um seine Kundschaft brachte. 1592 muss er tot gewesen sein. Streler verwendete die signierte Rolle SS 1551 und eine Ornamentplatte mit verschiedenen Einsätzen. Er kann mit den Werkstätten Haebler S.S. Tübingen Marke Presse und S.T. Marke Presse in Verbindung gebracht werden.
Zum Abschluss der Tagung äußerte sich Dr. Konrad von Rabenau noch kurz zu den „Bemühungen von Helmuth Helwig um das Problem der Koberger- Einbände“. Der Einbandforscher Helwig, damals Bibliothekar in Jena, untersuchte 1935 dort in der Universitätsbibliothek sieben Koberger-Einbände. Sie veranlassten ihn zu weiteren Forschungen. Er schickte eine Umfrage nach den Einbänden der erhaltenen Kobergerdrucke (Schedelsche Weltchronik von 1493 und Speculum doctrinale des Vincentius Bellovacensis von 1483, 1485 und 1486) an verschiedene Bibliotheken. Die Resonanz war jedoch dürftig; nur 12 neue Koberger- Einbände wurden bekannt.
Heft 9 der Zeitschrift „Einband-Forschung“ erschien termingerecht und konnte so jedem Teilnehmer als Bestandteil der Tagungsunterlagen überreicht werden.
Begleitend zur Tagung wurde in der UB Leipzig die Ausstellung „Das Gewand des Buches“ eröffnet. In der neuen Ausstellungshalle im Untergeschoss der Universitätsbibliothek wurde bis zum 22. Dezember 2001 eine Auswahl von 137 historischen Bucheinbänden des 10. bis 19. Jh. aus den Sammlungen des Hauses gezeigt. Parallel wurde in der rekonstruierten Eingangshalle aus dem reichen Bestand des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Bücherei Leipzig in 14 Vitrinen ein Gesamtüberblick über die für Leipzig typischen äußeren Erscheinungsformen der Verlagseinbände vom Beginn des 19. Jh. bis 1914 geboten. Die Teilnehmer der Tagung nutzten das Angebot einer persönlichen Erläuterung der Exponate durch Sylvie Karpp-Jacottet und Helma Schaefer. Der Katalog kann über die UB Leipzig bezogen werden.
2002 wird die 7. Jahrestagung des AEB vom 26. bis 28. September in der Johannes a Lasco Bibliothek in Emden stattfinden.
Angelika Pabel zurück
Impressum Datenschutz Aktualisiert am 29.04.2004
|