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2. Jahrestagung
16.-18. Oktober 1997
Michelstadt, Nicolaus-Matz-Bibliothek
Tagungsbericht
Michelstadt, 16.-18. Oktober 1997
Zu seiner zweiten Jahrestagung traf sich der Arbeitskreis für die Erfassung und Erschließung historischer Bucheinbände (AEB) vom 16. bis 18. Oktober 1997 in Michelstadt. Die Teilnehmerzahl - mehr als 50 Bibliothekare, Restauratoren und Bibliophile waren der Einladung gefolgt -, beweist, daß die Aktivitäten des AEB auf ein immer größeres Interesse stoßen.
In seiner Begrüßung umriß der Vorsitzende des Arbeitskreises, Dr. Konrad von Rabenau, Schöneiche, noch einmal Aufgaben und Ziele des AEB und stellte die innerhalb des AEB tätigen Arbeitsgruppen vor.
Im ersten Vortrag der Tagung sprach Dr. Kurt Hans Staub, Darmstadt, zum Thema "Der Bucheinband im Dienst der Forschung bei der Bestimmung von Provenienzen und Handschriftenfragmenten". Er betonte, daß seine Beschäftigung mit dem Einband nicht primär der Würdigung der künstlerischen Gestaltung gilt, sondern Mittel zur Bestimmung der Handschrift oder des Druckes ist. Unter Verweis auf das "große Büchersterben im 15. Jahrhundert" ging Dr. Staub im Folgenden auf Makulaturfunde in der Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt und der Nicolaus-Matz-Bibliothek in Michelstadt ein. Durch die Erfindung des Buchdruckes schienen Handschriften in Bibliotheken entbehrlich zu sein und wurden in großen Mengen zerschnitten und auf Messen zum Einbinden gedruckter Bücher verkauft. Die Suche nach Einbänden aus einer Werkstatt kann so die Grundlage bilden, Makulatur des gleichen Textes zu finden. Abschließend forderte Dr. Staub die Bibliotheken auf, ihre Einbände zu bearbeiten und die Ergebnisse zugänglich zu machen. Generell sei eine einheitliche Terminologie notwendig, die auch auf die Deckelaufteilung ausgedehnt werden sollte. Wichtige Impulse verspricht sich der Referent von einem neuen, erweiterten "Kyriss", der alle bisher bekannt gewordenen Werkstätten berücksichtigt, Belege für einzelne Stempel abbildet, Provenienzen verzeichnet und auch auf Makulaturfunde eingeht. In der anschließenden von Dr. Helmar Härtel, Wolfenbüttel, moderierten Diskussion standen die Möglichkeiten der systematischen Erschließung der Einbände in Bibliotheken mit großem Altbestand im Mittelpunkt. Aber auch das Verhältnis von Aufwand und Nutzen einer naturwissenschaftlichen Analyse des Materials von Buchschließen und das Vorkommen gleicher Stempel in unterschiedlichen Werkstätten wurde debattiert.
Ein Besuch der Nicolaus-Matz-Bibliothek schloß sich an. Dr. Staub erläuterte Entstehung, Geschichte und Bearbeitungsstand dieser 1499 von Matz gestifteten und seitdem mehrfach ergänzten Kirchenbibliothek. Die Besichtigung der Einhards-Basilika, eines in karolingischer Zeit errichteten Sakralbaues, führte die Teilnehmer zu einem der ältesten Kulturdenkmäler in Deutschland.
Der Nachmittag stand im Zeichen des Bucheinbandes des ausgehenden Mittelalters. Thesen zum Thema "Erfassung und Interpretation der sogenannten "Stempeleinbände" des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts" hatte Dr. Konrad von Rabenau erarbeitet. Sie bildeten die Grundlage eines Symposiums unter Leitung von Gerhard Karpp, Leipzig. Dr. von Rabenau schilderte zunächst seine Erfahrungen bei der Arbeit an der Berliner Schwenke-Sammlung gotischer Einzelstempel. Daraus leitete er die Aufgaben ab, die in nächster Zeit in Angriff zu nehmen sind. Im Vordergrund sollte die Vertiefung der vorliegenden Ergebnisse durch Einbeziehung bisher nicht berücksichtigter Werkstätten und Stempel stehen. Zwischenresultate könnten schnell und unkompliziert im Informationsblatt des Arbeitskreises veröffentlicht werden.
Dr. Werner Hohl, Graz, berichtete über Arbeiten auf dem Gebiet der Einbandforschung in österreichischen Bibliotheken. Er erwähnte u. a. die 7.000 bis 8.000 von ihm in einem Zettelkatalog erfaßten Einbände der Universitätsbibliothek Graz sowie den Nachlaß der Einbandforscherin Gertrud Laurin und die Durchreibungssammlung Dr. Mayrold.
Auf die Notwendigkeit der Zusammenführung des Materials an zentraler Stelle, die verbindliche Konditionen der Erfassung vorgibt, verwies Dr. Härtel unter lebhafter Zustimmung aus dem Auditorium. Um die technischen Möglichkeiten effektiv zu nutzen, sei ein einheitliches Kategorienschema unabdingbare Voraussetzung. Andreas Wittenberg, Berlin, gab in diesem Zusammenhang einen Überblick über den Stand der Arbeiten zur Errichtung einer zentralen Datenbank zur Einbandforschung an der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz. Von den Tagungsteilnehmern wurden die Berliner Bemühungen ausdrücklich begrüßt. Es wurde vorgeschlagen, das erarbeitete Kategorienschema im Informationsblatt zu veröffentlichen.
Seinen festlichen Abschluß fand dieser Tag mit einem Empfang durch die Stadt Michelstadt. Im Festsaal des historischen Rathauses, eines Fachwerkbaus aus dem Jahre 1484, begrüßte der Stadtverordnetenvorsteher, Peter Hörr, die Tagungsteilnehmer und hob in seiner Ansprache die Fürsorge der Kommunalpolitik für historisch wertvolle Kunstobjekte hervor.
Der zweite Beratungstag begann mit einem interessanten Vortrag von Walter Krepl, Ulm, zu Fragen des Bucheinbandes im 19. und 20 Jahrhundert. Er betonte, daß im Gegensatz zur früheren Zeit, in der der Einband ein Einzelstück war, dieser nun zum Massenprodukt wurde - die industrielle Produktion des Buches führte zwangsläufig zur industriellen Produktion des Einbandes. Die wachsende Bedeutung der Maschine zeigt sich vor allem auch in der Auswahl des Materials, das in erster Linie maschinengerecht sein muß. Der moderne Handeinband dagegen greift bewußt handwerkliche Techniken auf. Eine flexiblere Materialauswahl ist eine Folge davon. Zum Abschluß stellte Herr Krepl ein Projekt der Bibliotheca Wittockiana in Brüssel vor. Unter dem Titel "Der Bucheinband im 20. Jahrhundert" ist für 1999 eine Ausstellung geplant, die in Paris und Brüssel gezeigt werden wird. Die anschließende von Helma Schaefer, Leipzig, geleitete Diskussion machte deutlich, welche Fülle von interessanten Aspekten der Bucheinband dieser Zeit bietet.
Technischen Details alter Bucheinbände widmete sich der Vortrag von Dag Ernst Petersen, Wolfenbüttel. Anhand von Dias stellte er eindrucksvoll unter Beweis, welche Vielzahl von Einzelheiten der kundige Betrachter wahrnehmen kann. Dies gilt sowohl für das Äußere des Buches als auch für sein Inneres. Herr Petersen forderte, den technischen Einzelheiten bei der Einbandbeschreibung einen größeren Rahmen einzuräumen als bisher. Die anwesenden Restauratoren erklärten ihre Bereitschaft, ihr Fachwissen in einer im Rahmen des AEB zu gründenden Arbeitsgruppe "Einbandtechnik" einzubringen.
Ein Ausblick auf die nächste Jahrestagung des AEB, die vom 8. bis 10. Oktober 1998 in Hildesheim stattfinden wird, beendete die Tagung. Der im Vergleich zur ersten Tagung erweiterte zeitliche Rahmen wurde allgemein begrüßt. Das Informationsblatt des AEB "Einbandforschung", dessen erstes Heft den Teilnehmern überreicht werden konnte, wurde sowohl vom Inhalt als auch von der äußeren Form als gelungen eingestuft. Für die Unterstützung bei diesem Projekt wurde der SBB-PK gedankt.
Am Rande der Tagung fand eine Präsentation von Büchern des Dr.-Ludwig-Reichert-Verlages, Wiesbaden, regen Zuspruch.
Andreas Wittenberg
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