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13. Jahrestagung
25.-27. September 2008
Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar
Programm
Donnerstag, 25.09.2008
15.00 Uhr
Führung durch die Werkstatt Otto Dorfners
Treffpunkt:
Erfurter Straße 8 (hinter dem Nationaltheater - Stadtplan Nr 16)
Prof. Mechthild Lobisch, Gauting
17.00 Uhr und 17.30 Uhr
Führung durch die Einbandausstellung oder die Anna-Amalia-Bibliothek (jeweils 20 Personen, parallel)
Treffpunkt: Eingangshalle des Historischen Bibliotheksgebäudes, Platz der Demokratie 1
Eine Voranmeldung an ninon.suckow@sbb.spk-berlin.de wäre günstig!
18.00 Uhr
Öffnung des Tagungsbüros im Studienzentrum
19.00 Uhr
Studienzentrum
Grußworte
Abendvortrag: Büchersammlungen in Burgen, Schlössern, Kirchen und Museen: Bilder und Fakten aus der Geschichte des thüringischen Bibliothekswesens
Dr. Felicitas und Dr. Konrad Marwinski, Weimar
Anschließend Empfang
Freitag, 26.09.2008
9.00 Uhr
Französische Bonbonierebände und die Firma Mame
Dr. Jan Storm van Leeuwen, Voorschoten/Den Haag
9.45 Uhr
Bucheinbände aus der Sammlung Rothschild in Waddesdon Manor
Kristina Petri, Waddesdon
10.30 Uhr
Pause
11.00 Uhr
Schutzumschläge. Zur exemplarischen Erschliessung eines graphischen Buchmediums mit eigener Tradition
Dr. Nicola Assmann, Münster
12.00 Uhr
Mittagspause
14.00 Uhr
Henry van de Veldes Bucheinbände (Arbeitstitel)
Prof. Dr. Klaus-Jürgen Winkler, Weimar
(Der Vortrag findet in der Bauhaus-Universität, Geschwister-Scholl-Straße 8, statt - Stadtplan Nr 10)
15.30 Uhr
Arbeitsgruppen (Parallele Angebote)
1. Die Datenbank für Buchverschlüsse und Buchbeschläge und ihre praktische Anwendung bei archäologischen Fallbeispielen
Einführung: Georg Adler, Prerow
2. Einbandbeschreibung
Einführung: Dag-Ernst Petersen, Wolfenbüttel
Bitte vorhandenes Material als Diskussionsgrundlage mitbringen
3. Führung durch den Neubau der Bibliothek der Bauhaus-Universität und die Werkstatt von Otto Dorfner
Prof. Mechthild Lobisch, Gauting
17.00 Uhr und 17.30 Uhr
Führung durch die Einbandausstellung oder die Anna-Amalia-Bbiliothek (jeweils 20 Personen, parallel)
19.00 Uhr
Möglichkeit zum gemeinsamen Abendessen im "Köstritzer Schwarzbier-Haus", Scherfgasse 4
Samstag, 27.09.2008
9.00 Uhr
Hebräische Fragmente aus Bucheinbänden (Arbeitstitel)
Prof. Dr. Andreas Lehnardt, Mainz
9.45 Uhr
"Lieber Meister Jörg". Briefe an einen Meißener Buchbinder der Reformationszeit
Dr. Falk Eisermann, Berlin
10.30 Uhr
Pause
11.00 Uhr
Italienische dekorierte Einbände des XV. und XVI. Jahrhunderts eine Einführung
Federico Macchi, Mailand
11.45 Uhr
Mengenrestaurierung in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Neue Wege nach dem Brand
Corinna Herrmann, Weimar
13.00 Uhr
Ende der Tagung
Am Samstagnachmittag besteht die Möglichkeit, an einer Exkursion in das Augustinerkloster Erfurt teilzunehmen.
Abfahrt des Busses vor der Bibliothek: 14.00 Uhr
Unkostenbeitrag: ca. 10,- Euro (abhängig von der Teilnehmerzahl)
Rückfahrt ab Erfurt nach Weimar um 17.00 Uhr mit Halt am Bahnhof Erfurt.
Veranstaltungsorte:
Eröffnung: Studienzentrum der HAAB, Platz der Demokratie 4
Tagung: Hochschule für Musik Franz Liszt, Platz der Demokratie 2/3
Tagungsbüro:
Donnerstag: Studienzentrum
Freitag/Samstag: Musikhochschule
Tagungsbeitrag: 25 Euro
"Wir aber broschieren jetzt alles und haben nicht leicht vor dem Einbande noch seinem Inhalte Respekt" schreibt Goethe in seinen "Maximen und Reflexionen". Das mag zu seiner Zeit gegolten haben und trifft vermutlich auch heute noch weitgehend zu aber
nicht für die Teilnehmer der AEB-Tagung, die sich dieses Jahr in Weimar trafen.
Schon viel früher hätte die Jahrestagung hier stattfinden sollen. Jedoch durch den Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek 2002 mussten die Gastgeber ihre Einladung so lange aussetzen, bis das neue Studienzentrum zur Verfügung stand. 100 angemeldete und etliche "Zaungäste"
fanden sich am Abend des 25. Septembers dort im eindrucksvollen Bücherkubus ein. Es waren wie gewohnt vornehmlich Bibliothekare und Restauratoren, jedoch dieses Jahr auch besonders viele Buchbinder und Kunsthistoriker, die die Gelegenheit ergriffen, den berühmten Weimarer Geist zu erspüren.
Der Zuspruch von Teilnehmern aus dem europäischen Ausland, von Italien bis Helsinki, von England bis Ungarn, sogar aus den USA, nahm erneut zu.
Mit der launigen Einleitung: "Eine Einbandtagung hatten wir doch erst im August 1913, mit dem Jakob-Krause-Bund" begrüßte der Leiter der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Michael Knoche, seine Gäste. Andreas Wittenberg (Berlin), Sprecher des AEB, überreichte ihm als Gastgeschenk den eigens
angefertigten Dedikationseinband. Die Hamburger Buchbinderin und Buntpapiererin Ingeborg M. Hartmann gestaltete diesen Einband für Heft 22 der Einbandforschung mit verschiedensten Materialien, u.a. Plexiglas. Mit dem grünen Batikpapier des Vorsatzblattes nimmt die Künstlerin die Abbildung auf
dem Originalumschlag des Heftes auf, den ein grün bemalter gotischer Holzdeckelband aus Würzburg ziert. Eine ausführliche Beschreibung des neuen Dedikationsbandes von Helma Schaefer ist in Heft 23 der "Einbandforschung" enthalten, das ebenso wie der Rundbrief 1.2008 der MDE Meister der
Einbandkunst alle Teilnehmer mit den Tagungsunterlagen erhielten. Sämtliche bisher angefertigten Dedikationseinbände (seit dem ersten, von Werner Kießig, 2002 in Würzburg) sind auf der Homepage des AEB mit den dazu gehörigen Beschreibungen in einer Galerie zu sehen
(aeb.staatsbibliothek-berlin.de).
Der folgende Abendvortrag hatte nur am Rande mit Einbänden zu tun, insoweit nämlich, als sie Bestände thüringischer Bibliotheken sind. Felicitas Marwinski (Weimar) stellte vor: Büchersammlungen in Burgen, Schlössern, Kirchen und Museen: Bilder und Fakten aus der Geschichte des thüringischen
Bibliothekswesens. Thüringen war früher in so viele Kleinstaaten zersplittert, dass man "an einem Tag durch vieler Herren Länder" reisen konnte (Heinrich Schwerdt). Die Behandlung der einzelnen Kleinstaaten und ihrer Bibliotheksstandorte zeigte, dass bis heute viele dieser historischen Bibliotheken bestehen,
durchwegs in repräsentativen Gebäuden wie Schlössern untergebracht. Die Reformation leitete einen tief greifenden Strukturwandel ein, der zur modernen Gebrauchsbibliothek hinführte.
Jan Storm van Leeuwen (Vorschooten/Den Haag), seit vielen Jahren hochgeschätzter Teilnehmer der AEB-Tagungen, hatte dieses Mal ein Thema gewählt, das bis dahin kaum einem Einbandforscher bekannt gewesen sein dürfte: Französische Bonbonnierebände und die Firma Mame. Dabei handelt es sich um
Verlagseinbände, die zwischen 1835 und 1884 in Tours entstanden. Zu der einfachen und billigen Technik der Buchblock wird auf nur zwei Bünde geheftet gesellt sich eine repräsentative Aufmachung: die Deckel aus dünner Pappe wurden mit farbigem und geprägtem Papier überzogen, teilweise auch handkoloriert.
Die bunten Einbände gleichen damit Bonbonnieren, Pralinenschachteln. Es sind Bücher für die Jugend: Instruktiv, religiös, schön und dazu preiswert, erfüllten sie wichtige Voraussetzungen für guten Absatz, besonders als Geschenke. Wenngleich in sehr hohen Stückzahlen, wurden dese Bücher von
nur sechs Firmen produziert, unter denen die Firma Mame die wichtigste war. Der Verleger Alfred Mame, der 1845 das Geschäft übernahm, verwirklichte als Erster die Idee, in einem Haus die verschiedenen mit der Buchproduktion befassten Gewerbe zusammenzuführen: Druck, Binden und Vertrieb. Er errichtete dafür eine
riesige Fabrik. Dort beschäftigte er bis 1200 Mitarbeiter, darunter 100 Kinder, für die er als sozial denkender Arbeitgeber in für die damalige Zeit vorbildlicher Weise sorgte. Im fast fließbandmäßigen Verfahren der Arbeitsteilung wurden alle Arten von Einbänden angefertigt, darunter sogar
vorzügliche Handeinbände. Für die Massenproduktion wurden die Papiermuster mehrfach verwendet, jedoch in unterschiedlichen Farben. Die in den Vorderdeckel einmontierten Lithographien wurden von Hand koloriert, und so ist es nicht verwunderlich, dass bisher unter den erhaltenen Exemplaren keine genau identischen
gefunden werden konnten. Der Stil der Mame-Einbände ist historisierend, meist im Neo-Barock bzw. Neo-Rokoko. 1878 erschien ein Firmenkatalog, der unterschiedliche Einbände für denselben Titel auflistet. Jan Storm hat bisher ca. 500 Exemplare der "Bonbonniere-Einbände" in einer Datenbank erfasst
ein reizvolles Forschungsobjekt, das noch viele Entdeckungen erwarten lässt.
Um eine völlig andere Art von Einbänden ging es beim folgenden Referat von Kristina Petri (Waddesdon Manor): Bucheinbände aus der Sammlung Rothschild in Waddesdon Manor. Baron Ferdinand de Rothschild (1839-1898), eingebürgerter Engländer, ließ 1877-89 durch den französischen
Architekten Destailleur Waddesdon Manor im Stil eines Loire-Schlosses inmitten eines viktorianischen Landschaftsparks ca. 80 km nordwestlich von London erbauen. Die Inneneinrichtung ist im typischen "Rothschild-Stil" gehalten, für den die Einbeziehung herausragender Kunstwerke charakteristisch ist. Waddesdon
Manor wurde 1957 dem National Trust übergeben, der seither für die Katalogisierung des Inventars sorgt. Die Bestandskataloge werden abgeschlossen durch den in Arbeit befindlichen Buchkatalog. Er soll Rothschilds Bibliothek von ca. 800 Bänden verzeichnen, die sich in Waddesdon Manor befindet. Zu zwei Dritteln
umfasst die Sammlung französische illustrierte Bücher des 17. und 18. Jahrhunderts in erlesenen Einbänden. Darunter sind Bände aus dem "Cabinet du Roi" und Ledermosaikbände von Antoine-Michel Padeloup. Louis Douceur verzierte die vierbändige Prachtausgabe von La Fontaines Fabeln (1755-59)
mit eigens dafür angefertigten Einzelstempeln, die Motive aus diesen Fabeln wiedergeben. Die Bücher zeigen kaum Gebrauchsspuren und sind ausgezeichnet erhalten (www.waddesdon.org).
Über einen Teil des Bucheinbandes, der "im Grunde genommen nicht existiert" berichtete Nicola Assmann (Münster). Ihr Thema: Schutzumschläge. Zur exemplarischen Erschließung eines graphischen Buchmediums mit eigener Tradition. Der Schutzumschlag, lose um den Einband gelegt,
wurde seit der Fertigung von Verlagseinbänden im 19. Jahrhundert mit dem gedruckten Buch zusammen ausgeliefert. Da es jedoch in den öffentlichen Bibliotheken üblich war und ist, den Schutzumschlag vom festen Bucheinband zu entfernen, sind nur sehr wenige Sammlungen von Schutzumschlägen überliefert,
etwa im Deutschen Literaturarchiv Marbach (Curt Tillmann) oder im Buch- und Schriftmuseum Leipzig. Ganz besonders selten ist die gemeinsame Erhaltung zusammen mit dem dazugehörigen Buch. Im Gymnasium Petrinum in Recklinghausen hat sich ein geschlossener derartiger Bestand mit historischen Schutzumschlägen aus
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der ehemaligen Lehrerbibliothek erhalten, insgesamt 784 Stücke. Der Großteil stammt aus der deutschen Buchproduktion der 20er und 30er Jahre. Die Untersuchung, Erschließung und konservatorische Sicherung dieses Bestandes geschah im Rahmen eines DFG-Projektes
der Abteilung Historische Bestände in Westfalen der ULB Münster. Hierbei wurden die Originalumschläge von den Büchern entfernt, katalogisiert und getrennt vom Buch nach der Papierrestaurierung sachgerecht verwahrt. Die Bücher erhielten Ersatzumschläge. Die Originalumschläge sollen
digitalisiert und auf dem Dokumentenserver Münstersches Informations- und Archivsystem für multimediale Inhalte (MIAMI) ins Netz gestellt werden. Dass bei den Bibliotheken allmählich das Bewusstsein für den Wert des vernachlässigten Mediums Schutzumschlag wächst, zeigt die SUB Köln mit
ihrer neuen Digitalen Umschlagsammlung (http://umschlagsammlung.ub.uni-koeln.de).
Der Nachmittag war vier parallel stattfindenden Arbeitsgruppen gewidmet: Georg Adler (Prerow) leitete die Diskussion über seine Datenbank für Buchverschlüsse und Buchbeschläge und ihre praktische Anwendung bei archäologischen Fallbeispielen. Das bedeutete in erster Linie einen Einblick
in die Beschreibungen von über 9000 Metallbeschlägen und Schließen vom frühen Mittelalter bis zur Moderne, die in digitalisierter Form wiedergegeben werden. Es wurden zwar Recherchemöglichkeiten vorgeführt, die jedoch leider theoretisch bleiben, solange die Datenbank noch nicht frei geschaltet ist.
Dag-Ernst Petersen (Wolfenbüttel) füllte einen Seminarraum mit ca. 35 interessierten Fachleuten, die sich über Einbandbeschreibung austauschten. Nach einem historischen Überblick über unterschiedliche Arten der Einbandbeschreibung ging es detailliert um die Formulierung von
Exponatbeschreibungen bei Ausstellungen. Dabei konnten besonders die Praktiker ihre Erfahrungen einbringen. Gleichzeitig gab Frank Simon-Ritz (Weimar) vor Ort eine Einführung in die Geschichte der Bauhaus-Universität und ihrer Bibliothek. Die Universität geht auf die 1860 gegründete
Großherzoglich-Sächsische Kunstschule zurück. Der Neubau entstand auf dem Areal einer ehemaligen Brauerei in unmittelbarer Nähe des historischen Zentrums. Im Bibliotheksgebäude ist zugleich das Audimax der Universität untergebracht. Bei der Führung durch das architektonisch äußerst
interessante Gebäude, das 2006 den Thüringer Staatspreis für Architektur und Städtebau erhielt, wurden die vom Architekten gefundenen Lösungen lebhaft diskutiert. Nicht alle wurden jedoch als unbedingt praxistauglich beurteilt. Mechthild Lobisch (Gauting) führte durch die original erhaltene
Werkstatt des bedeutenden Buchgestalters Otto Dorfner. Als Schüler van de Veldes gilt er noch heute als Schlüsselfigur der deutschen Einbandkunst. So konnte jeder Teilnehmer der Tagung ein ihn interessierendes Thema finden, wenngleich verschiedentlich bedauert wurde, dass man sich auf eine Arbeitsgruppe
festlegen musste wo doch gleichzeitig die anderen genauso attraktiv waren.
Ein gemeinsames Abendessen im Köstritzer Schwarzbierhaus, dem ältesten Fachwerkhaus Weimars, führte die Teilnehmer der verschiedenen Gruppen wieder zusammen.
Der Samstag begann mit Andreas Lehnardt (Mainz) und seinem Vortrag Genizat Germania Ein Projekt zur Erschließung hebräischer und aramäischer Einbandfragmente in deutschen Archiven und Bibliotheken. Der hebräische Begriff "Geniza" (Versteck) bedeutet einen Raum zur Aufbewahrung
ausgedienter hebräischer liturgischer Schriften. Diese Schriften durften, da sie den Gottesnamen enthalten konnten, nicht einfach weggeworfen werden. Genizat Germania ist ein Forschungsprojekt an der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz, das bisher verborgene hebräische Schriften untersucht
(http://www.genizatgermania.uni-mainz.de). In deutschen Archiven und Bibliotheken gibt es zahlreiche hebräische und aramäische Handschriftenfragmente, die als Umschläge oder Makulatur für Bücher verwendet wurden.
Die Fragmente in den Büchern stammen zwar vielfach aus Bänden, die bei Pogromen zerfleddert wurden; jedoch war auch der Medienwechsel mit Aufkommen des Buchdrucks ein Grund, sich der nun veralteten Schriften zu entledigen. Die Suche begann in Mainz und Trier (s. Einbandforschung, H.21, S. 17).
Die in Deutschland gefundenen Fragmente stammen größtenteils aus Klöstern. Inzwischen wird das Projekt von der DFG gefördert. Durch die intensive Erschließung der Funde werden auch neue Erkenntnisse über die Bucheinbände und ihre Werkstätten gewonnen. So führte etwa
die Exkursion bei der AEB-Tagung 2007 ins Gleimhaus Halberstadt dort zur Entdeckung mehrerer hebräischer Fragmente auf Bucheinbänden, die bisher unbeachtet im Regal standen. In der Planung ist eine Datenbank, die über das Portal Manuscripta mediaevalia
(www.manuscripta-mediaevalia.de) abgefragt werden kann.
"Lieber Meister Jörg" lautet die Anrede in einem Brief, der offenbar an einen Meißener Buchbinder gerichtet wurde, der auch als Buchhändler tätig war. Falk Eisermann (Berlin) schilderte die spannende Entdeckung einer Korrespondenz. Sie wurde 2005 in der UB Leipzig bei
Restaurierungsarbeiten im Pappeinband (die Buchbinder stellten selbst sog. Klebepappe aus makulierten Papieren her) eines Basler Drucks von 1519 (Josse Clicthove: Elucidarium ecclesiasticum, VD 16 C 4194) gefunden. Drei einseitig beschriebene Zettel sind an den "weysen und vorsichtigen meyster Jorgen"
gerichtet; sie betreffen Bestellungen für Einbandarbeiten. Der Absender nennt sich im 3. Brief "Sebastianus Daniel". Ein Frater dieses Namens aus dem Zisterzienserkloster Altzella ist im Sommersemester 1522 in der Leipziger Matrikel eingetragen. Datieren lassen sich die Briefe anhand der darin erwähnten
Buchtitel auf 1530/31. Durch die Buchtitel wird auch deutlich, dass protestantische Bücher lange vor Einführung der Reformation (1539) in Sachsen verfügbar waren, wenngleich wohl nur "unter dem Ladentisch". Das Buch, in dessen lederbezogene Einbanddeckel die (vielleicht brisanten) Briefe verarbeitet
waren (Prakt. Theol. 29b), stammt aus der Bibliothek des Meißener Domkapitels. Dessen Buchbinder aus seiner Werkstatt sind bisher 180 Einbände nachgewiesen - hieß Georg Kolbe (Kolbius). Da über ihn noch nicht viel bekannt ist, eröffnet sich hier ein interessantes Thema für weitere Forschungen.
Die Briefe haben die Signatur Ms 1710b erhalten.
Eine Einführung in Italienische dekorierte Einbände des 15. und 16. Jahrhunderts gab Federico Macchi (Mailand) nach der Pause. Er zeigte wie gewohnt in exzellenten Bildern - charakteristische Einbände aus den Herstellungszentren Mailand, Venedig, Bologna, Florenz, Rom und Neapel.
Bei den Einbänden, die in den genannten Orten entstanden, herrschte im 15. Jahrhundert der so genannte maureske Stil vor: Bordüren umgeben Felder, die mit kleinen unspezifischen Stempeln ausgefüllt sind. Die Bücher sind eher großformatig, die Holzdeckel mit Maroquin bezogen, der Schnitt
ist nur selten vergoldet. Mit Aufkommen der Renaissance im 16. Jahrhundert wird der orientalische Einfluss in der Einbandgestaltung sehr deutlich. Kleinere Formate werden bevorzugt, Pappdeckel verdrängen die Holzdeckel. Diese Stilrichtung war außerordentlich verbreitet und so unspezifisch, dass es kaum
möglich ist, einen Einband einem bestimmten Produktionszentrum zuzuweisen. Der namentlich unbekannte "venezianische Fugger-Meister" wirkte stilbildend auf die deutsche Einbandkunst. Römische Einbände zeigen häufiger einen "Davidstern", gebildet aus zwei Dreiecken. Gegen Ende
des 16. Jahrhunderts setzt sich mit dem Barock ein neuer Stil durch.
Ein "Weimarer" Thema stand am Schluss der Tagung: Corinna Herrmann (Weimar) erläuterte das große Problem nach dem Brand: Mengenrestaurierung in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Der Begriff "Mengenrestaurierung" meint nicht "Massenrestaurierung",
sondern eine sehr große Menge von Einzelrestaurierungen. 34000 hitze- und wassergeschädigte Bücher (von abgelösten Überzügen bis zu abgerissenen Einbänden) sollen in wenigen Jahren restauriert werden. Das kann nur durch verteilte Auftragsvergabe an verschiedene auswärtige
Werkstätten erreicht werden. Detaillierte Leistungsbeschreibungen sind dafür Voraussetzung. Ziele sind
- größtmöglicher Originalerhalt, wobei z.B. Brandspuren sichtbar bleiben dürfen,
- Einheitlicher Standard in der Bearbeitung,
- Dokumentation in Wort und Bild.
Vorgegangen wird nach Materialgruppen: Zunächst wurden, bisher 6000, Kleisterpapierbände restauriert, da diese Schadensfälle am rationellsten zu behandeln sind. Fehlstellen werden durch neutrales, farblich angepasstes Papier ergänzt. Die Kalikobände wurden zurückgestellt;
Vorrang haben nunmehr die ca. 7000 Leder- und 2000 Pergamentbände, die meistens Rückenschädigungen aufweisen (leider gewinnt man auch so Einblicke in historische Einbandtechniken!). Das Leder ist durch Hitze und Löschwasser geschrumpft, verhärtet oder verkohlt. Innovationen
bei der Behandlung dieser Schadensbilder sind nun gefragt. Sie sollen durch die Erweiterung internationaler Kontakte und den Ausbau von Netzwerken ermöglicht werden.
Anlässlich der AEB-Tagung war die Ausstellung Kunst des Bucheinbandes im historischen Gebäude der Herzogin Anna Amalia Bibliothek konzipiert worden. Ein vorzüglich bebilderter Katalog ist dazu erschienen (ISBN 978-3-87527-115-7). Es wird im Laufe des langen Ausstellungszeitraums
(bis 2. August 2009) mit 50 000 Besuchern gerechnet. Matthias Hageböck, Wolfgang Metzger und Isabelle Reichherzer erläuterten an mehreren Terminen die historischen und modernen Exponate. Parallel konnte der wiedererstandene Bibliothekssaal besichtigt werden. Wegen der
großen Nachfrage gab es auch Führungen durch die Restaurierungswerkstatt.
Bis auf den letzten Platz besetzt war der Bus, der am Samstagnachmittag zur inzwischen schon traditionellen Abschluss-Exkursion nach Erfurt fuhr. Im Augustinerkloster, wo Luther 1505 -1511 als Mönch lebte, erläuterte Michael Ludscheidt die Bibliothek des Evangelischen Collegiums.
Fesselnde Geschichten und interessante Einband-Exponate sorgten dafür, dass die Gäste sich nur mit Bedauern losreißen konnten.
"Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen" (Goethe, Faust) bei diesem Programm kam sicher keiner zu kurz, sodass "jeder zufrieden aus dem Haus gehen" konnte.
Das ist auch für die Einbandtagung 2009 zu hoffen, die vom 24. - 26. September in der Staatsbibliothek Bamberg, Neue Residenz, stattfinden wird. Das Programm wird rechtzeitig auf der Homepage des AEB bekannt gegeben: aeb.staatsbibliothek-berlin.de.
Angelika Pabel
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Impressum Datenschutz Aktualisiert am 23.12.2008
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